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Inspirationen aus Bibliotheken international: Nature Journaling

2023-05-23, 08:25

Schon in der Corona-Zeit hatten wir über die Grenzen geschaut, um zu sehen, wie Bibliotheken in anderen Teilen der Welt mit der Situation kreativ umgehen. "Raus in die Natur" hieß vielerorts die Devise - z.B. bei den StoryWalks, aus denen bei uns die Idee für "Erzählwege" entstand. Aber noch etwas anderes hat in dieser Zeit in den USA und anderswo eine neue Blüte erlebt, auch wenn die Idee auf einer alten Tradition beruht: Nature Journaling. Im Kontext von Nachhaltigkeit und Naturerfahrung wächst auch hierzulande in einigen Regionen das Interesse daran. Und Bibliotheken wären gute Orte, um diese alltagstaugliche Verbindung von Sprache, Zeichnen und Naturwissen für alle Generationen zu unterstützen.

Zunächst ein Blick zu den Bibliotheken in anderen Ländern, die ihre Nutzerinnen und Nutzer bereits dazu einladen, sich zum "Journalen" in der Natur zu treffen: Die Farmington Libraries berichten HIER über das Angebot. Die Delaware County Libraries bieten HIER Fortbildungen dazu an. Und die Walnut Creek Library gibt HIER Einblick in ihr Angebot dazu - um nur einige Beispiele zu nennen.

Was also versteht man genau unter "Nature Journaling"?

Eine treffende Übersetzung ist schwierig: Denn “Naturtagebuch” lässt eher an eine private Besinnung auf persönliche Befindlichkeiten in der Natur denken. Das kann natürlich auch geschehen – aber Nature Journaling lebt zugleich davon, in einen offenen Austausch mit anderen zu den Aufzeichnungen zu kommen. Genauer gesagt: zu dem, was verschiedene Menschen in ganz unterschiedlicher Weise in der Natur wahrnehmen, skizzieren und notieren. Selbsterfahrung steht eher nicht im Fokus.

Um was genau also geht es? Die Bandbreite an Methoden und Akzenten, die bei Nature Journaling in unterschiedlicher Weise zur Anwendung kommen, ist groß und eröffnet viele individuelle Freiheiten für die Ausgestaltung: Man geht in einen stillen Kontakt oder Dialog mit der Natur, nimmt wahr, skizziert und beschreibt, was da ist, hält auch Fragen und Gedanken fest, die einem dabei in den Sinn kommen und tut das teils in dokumentarischer, teils auch in künstlerisch-gestaltender Form mit Worten, Mal- und Zeichentechniken.

Ganz wichtig: Weder bei den gestaltenden Formen mit Sprache und Skizzen noch bei den naturwissenschaftlichen Aspekten der Beobachtung und Dokumentation steht das eigene Talent und Fachwissen im Vordergrund! Natürlich darf und wird sich dieses mit der Zeit durch Übung und Fragen von ganz allein vertiefen und erweitern. Doch jede und jeder sucht und findet beim Nature Journaling zunächst jene Form, die am besten dazu geeignet ist, sich ganz auf die Wahrnehmung von Details und Beobachtungen in der Natur zu konzentrieren – nicht auf die Perfektion, Optimierung und Präsentation des eigenen Könnens!

Das heißt auch: Ob man ausschließlich mit Bleistift arbeitet oder eine kleine Aquarell-Ausrüstung mit ins Freie nimmt, bleibt der persönlichen Vorliebe überlassen. Und für die Worte bedeutet das: von Zählungen, Beschreibungen, Assoziationen und Fragen bis hin zu poetischen Formen als Ausdruck von Stimmungen ist alles möglich. Inspirierend kann es z.B. sein, dabei auch nach Wortneuschöpfungen zu suchen, um Phänomene zu beschreiben, die sich so weder zeichnen noch mit dem bekannten Vokabular fassen lassen. Solche Neuschöpfungen dienen dann vielleicht als Vorstufe für poetische Formen – Akrosticha, Haikus, Elfchen – die sich damit zu Stimmungsbildern gestalten lassen und diesen so eine ganz eigene Farbigkeit und Originalität verleihen.


Vielfältige kreative Gestaltungsmöglichkeiten und Verbundenheit statt Perfektion

Aber es kann auch ganz anders gehen: Wer eher an Vogelzählungen und Veränderungen der Vegetation interessiert ist, wird Worte und Zahlen nutzen, um für dieses Interesse möglichst regelmäßig Datenmaterial zusammenzutragen. Wie auch immer: Die einen wie die anderen werden im Prozess der skizzenhaften Aufzeichnungen und Notizen im Freien merken, wie man dabei mit allen Sinnen immer tiefer eintaucht in das, was sich in der Natur vor einem auftut – und wie das Grübeln im Kopf wie auch das Kreisen um sich selbst solange Pause macht!

Wer mag, kann seine Beobachtungen anschließend vielleicht sprachlich oder künstlerisch noch weiter ausarbeiten. Aber auch von einem solchen geplanten “Zweck” sollte man sich beim Erleben draußen nicht schon ablenken und zu sehr leiten lassen. Eben deshalb gilt auch: Fragen, die sich bei den Beobachtungen ergeben, werden als Fragen notiert und nicht gleich “ergoogelt”. Vielleicht wächst einem die Antwort ja bei der nächsten Beobachtung von alleine zu…

Übrigens: So asketisch und “aus der Zeit gefallen” das Zeichnen mit Bleistift in einem Notizbuch aus Papier auch anmuten mag – mit “Technikfeindlichkeit” hat Nature Journaling nichts zu tun! Zur Freiheit der Gestaltung gehört ebenso, dass z.B. Fotografien in ein Journal mit eingebaut werden können, wenn das in der jeweiligen Situation und Nacharbeit sinnvoll und hilfreich erscheint. Da gilt: Einfach ausprobieren – und der Unterschied zwischen der Entstehung eines Fotos und einer Zeichnung bei dem, was man wirklich mit allen Sinnen erfassen und weiter bedenken möchte, wird sich zeigen. Bei einem so, bei einer anderen anders.

Mit dieser Freiheit für die Vielfalt an Möglichkeiten treffen sich die Freundinnen und Freunde von Nature Journaling auch nicht zum Wettstreit um die beste Methode, die perfekteste Ausrüstung oder das meiste Wissen, sondern für ein gemeinsames Lernen und Teilen von unterschiedlichen Erfahrungen. So jedenfalls sollte es sein. Und so könnten auch Bibliotheken einen Anfang machen und Menschen - von Kindern bis hin zum Seniorenalter - mit dieser besonderen Art der Naturerfahrung vertraut machen.

Das Schöne dabei: Anfangen ist einfach und nicht an besondere zeitliche, räumliche und finanzielle Anforderungen gebunden. Wer in Bibliotheken von Schleswig-Holstein oder anderswo Unterstützung und Beratung dafür sucht, kann sich gern bei mir melden:

Susanne Brandt, Büchereizentrale Schleswig-Holstein, brandt@bz-sh.de

Und so erzählen andere davon: https://wiederwilderwerden.de/wasistnaturejournali...

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