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Keine nachhaltige Entwicklung ohne Generationendialog

2022-04-15, 15:11

Vor rund 15 Jahren hat der Rat für nachhaltige Entwicklung mit seinem Wettbewerb "Generationendialog in der Praxis" deutlich gemacht, wie eng Nachhaltigkeit und die Generationenfrage zusammen gehören. Zu den Teilnehmenden und Preisträgern zählten damals bereits Bibliotheken mit ihren Angeboten für ein besseres Miteinander von Jung und Alt.

Viele Beispiele sind seither dazu gekommen. Schwerpunkte haben sich verändert. Perspektiven wechseln - eben weil es hier um einen Dialog geht, bei dem Stimmen von verschiedenen Seiten Gehör finden müssen.

Mit der wachsenden Präsenz des Themas Klimaschutz ist umso deutlicher geworden, warum langfristige Orientierung wichtig ist. Es zeigt gleichzeitig, wie es zu Interessenkonflikten zwischen jüngeren und älteren Menschen kommen kann. Wie können sich Bibliotheken dieser Vielfalt an Themen stellen? 

Mit dieser Frage sind Kolleginnen und Kollegen in Bibliotheken immer wieder konfrontiert - in der Praxis, in vielfältigen Kooperationen vor Ort, in der Weiterbildung und an Hochschulen. Die klassischen und nach wie vor wichtigen Aufgabenstellungen in Blick auf Lebenslanges Lernen, Digitalisierung, Kulturelle Teilhabe, Engagement im Ruhestand bis hin zu besonderen Lebesituationen im Alter, wie sie z.B. durch Demenz entstehen, bleiben aktuell, müssen aber immer wieder auch um den "Blick von der anderen Seite her" ergänzt werden, wenn es um einen echten Generationendialog und um Generationengerechtigkeit gehen soll. In diesem Sinne ist der folgende Beitrag zu verstehen:

Generationenkonflikt im Blick auf den Klimawandel?

Treibhausgas-Emissionen wirken sich langfristig auf das Klima aus. Die spürbaren schädlichen Folgen treten erst auf, wenn höhere Konzentrationen in der Atmosphäre erreicht werden. Wenn Emissionen reduziert werden, hat dies jedoch unmittelbare Folgen und bedeutet spürbare Umstellungen der Lebens- und Wirtschaftsweise. Manche davon werden als Einschränkung wahrgenommen. So werden manche Klimaschutzmaßnahmen als "zu teuer", "schädlich für die Wirtschaft" oder "Einschränkung der persönlichen Freiheit" kritisiert.

Gleichzeitig sind die Anforderungen des Klimaschutzes klar: Das Abkommen von Paris sieht vor, dass die globale Erwärmung möglichst auf 1,5 Grad Celsius begrenzt wird und in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts weltweit Treibhausgasneutralität erreicht wird.  [...] Der sogenannte Klimaschutzplan 2050 sieht vor, die Emissionen nach und nach zu senken, um bis 2050 Treibhausgasneutralität zu erreichen. Die dafür nötigen Pfade lassen erkennen, in welchem Umfang Umstellungen nötig sind – zum Beispiel, wie schnell im Verkehrssektorder der Umstieg von Diesel- und auf andere Technologien erfolgen muss.

Das Bundesverfassungsgericht hat den im Klimaschutzgesetz von 2019 geplanten Verlauf dieser Pfade kritisiert: Ab 2030 sei unklar, wie die Emissionen bis 2050 sinken sollen. Dann seien aber noch starke Reduzierungen nötig. Auf diese Weise müsste dann kurzfristig über harte Maßnahmen entschieden werden. Die Last dieser Entscheidungen würde den Menschen aufgebürdet, die heute noch jünger sind.

In diesem Zusammenhang taucht häufig auch der Begriff "Generationengerechtigkeit" auf, gelegentlich ist auch von Konflikten zwischen den Generationen die Rede.

Was bedeutet "Generation"?

Der Begriff „Generation“ kann verschiedene Bedeutungen haben. Im Kern bezieht er sich auf das Geburtsjahr beziehungsweise das Alter von Menschen. Eine Generation ist demnach eine Gruppe von Menschen, die im selben Jahr beziehungsweise in einem bestimmten Zeitraum geboren sind.

Es können aber auch Menschen unterschiedlichen Alters gemeint sein, die im selben Zeitraum leben und daher dieselben Ereignisse erleben, ähnliche Erfahrungen machen und entsprechend geprägt sind. Bekannte Bezeichnungen sind zum Beispiel die "Nachkriegsgeneration", "die 68er", "die Wendegeneration", "Generation X" oder "Digital Natives".

Oft wird der Begriff auch verwendet, um heute lebende Altersgruppen voneinander abzugrenzen – zum Beispiel Jugendliche, Erwachsene und Senioren.

Die Altersstruktur in Deutschland

Um die Diskussion über Generationengerechtigkeit zu verstehen, muss man die heutige Altersstruktur in Deutschland kennen. Oft ist vom „demografischen Wandel“ die Rede, von einer alternden Gesellschaft, manchmal sogar von "Überalterung". Die Ursache: Der Anteil der jüngeren Altersgruppen nimmt seit Jahrzehnten ab. Früher konnte die Altersstruktur als eine Pyramide dargestellt werden, mit vielen jungen Menschen als Basis und wenig alten zur Spitze hin. Heute ist rund die Hälfte der Menschen in Deutschland über 45 Jahre alt. 18,4 Prozent sind unter 18 Jahre alt, dagegen sind 28,5 Prozent über 60 (Stand 2019).

Was kennzeichnet die Sichtweisen der Generationen?

Menschen setzen sich in verschiedenen Lebensabschnitten mit verschiedenen Aufgaben auseinander. Entsprechend unterschiedlich sind ihre Interessen – so müssen zum Beispiel Jugendliche selbstständig werden, die Schule abschließen und einen Beruf finden; junge Eltern sorgen für ihre Kinder und versuchen oft gleichzeitig, beruflich voranzukommen. Ältere beginnen, sich auf die Zeit nach dem Arbeitsleben vorzubereiten. Mit den unterschiedlichen Lebensphasen gehen oft unterschiedliche finanzielle Möglichkeiten und Lebensstile einher.

Studien und Wahlergebnisse zeigen außerdem, dass unterschiedliche Generationen nicht selten unterschiedliche Sichtweisen haben – aber auch gemeinsame Anliegen.

Die Jugendstudie im Auftrag des Bundesumweltministeriums (BMU) zeigt, dass sich das Bewusstsein von globalen Krisen wie dem Klimawandel im Lebensgefühl der Jugendlichen und jungen Erwachsenen niederschlägt. Sie befürchten, dass sich die Situation in Zukunft verschlechtert.

Die Umweltbewusstseinsstudie des Umweltbundesamtes belegt, dass über alle Altersgruppen hinweg Umwelt- und Klimaschutz für eine große Mehrheit als „sehr wichtig“ gelten. Allerdings finden die Jüngeren diese Themen noch deutlich wichtiger als Ältere. 74 Prozent der 14- bis 22-Jährigen gaben an, dass Umwelt- und Klimaschutz „sehr wichtig“ seien – bei den über 23-Jährigen waren es 64 Prozent.

Welche Einflussmöglichkeiten haben die Jüngeren?

Zwar gelten die Grundrechte für alle Menschen, unabhängig vom Alter, doch Kinder und Jugendliche erlangen erst nach und nach die erforderlichen Fähigkeiten, um in allen Lebensbereichen selbst zu entscheiden. Das spiegelt sich in der rechtlichen Situation wider.

Erst mit 18 Jahren gilt man in Deutschland als volljährig und kann alle Entscheidungen unabhängig von den Erziehungsberechtigten treffen.
Zu den wichtigsten "Vorrechten" der Erwachsenen zählt das Wahlrecht. Bei Bundestags- und den meisten Landtagswahlen dürfen nur Volljährige, also Menschen ab 18 Jahren, ihre Stimme abgeben.

Dennoch gilt der Grundsatz, dass Kinder und Jugendliche ein Recht auf Beteiligung und Mitgestaltung haben. Dies ist unter anderem in der Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen verankert, die seit 1992 auch in Deutschland gilt. In zahlreichen Gesetzen finden sich dazu konkrete Regelungen.

Bis zur Volljährigkeit haben die Eltern beziehungsweise die Erziehungsberechtigten das Recht, aber auch gleichzeitig die Pflicht, für ihre Kinder zu sorgen. Es ist ihre Pflicht, dabei die Rechte und Bedürfnisse der Kinder zu berücksichtigen. Sie sollen außerdem den Entwicklungsstand und die wachsenden Fähigkeiten der Kinder berücksichtigen.

Wie sollten wir das Verhältnis der Generationen zueinander gestalten?

Dass die Erwachsenen Verantwortung für ihre Kinder übernehmen und dass heutige Entscheidungsträger/-innen für künftige Generationen Vorsorge treffen, sind grundlegende menschliche Handlungsprinzipien. Die verschiedenen Generationen brauchen einander und profitieren voneinander.

Und auch wenn immer wieder von Konflikten die Rede ist: Bei grundlegenden Fragen haben die Generationen gemeinsame Interessen. So findet über alle Altersgruppen hinweg eine große Mehrheit der Menschen in Deutschland Umwelt- und Klimaschutz sehr wichtig.

Gleichzeitig gibt es Diskussionen darüber, wie wir das Miteinander der Generationen gestalten könnten. Und es gibt Initiativen auf verschiedenen Ebenen, um Kinder und Jugendliche stärker zu beteiligen.

Bundesverfassungsgericht zum Verhältnis der Generationen

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Klimaschutzgesetz wird in diesem Zusammenhang vermutlich Auswirkungen haben, die über den Klimaschutz hinausgehen. Sie enthält grundsätzliche Klarstellungen des Gerichts.

Dazu gehört, dass „Generationengerechtigkeit“ unter Umständen einklagbar ist. Die Entscheidung wird mit den Freiheitsrechten der heutigen Jugendlichen begründet. Sie könnten durch die zukünftigen Auswirkungen des Gesetzes verletzt werden.

Darüber hinaus begründet das Gericht seine Entscheidung mit den heute absehbaren "Pfaden" der zukünftigen Entwicklung. Es bezieht sich auf die Rahmenbedingungen des Pariser Abkommens und den Stand der Wissenschaft bezüglich des Klimawandels, unter anderem auf das verbleibende CO2-Budget.

Verankerung der Kinderrechte

Bei den Vereinten Nationen spielen die Kinderrechte seit Langem eine wichtige Rolle. So wurde im Jahr 1989 die UN-Konvention über die Rechte von Kindern verabschiedet. Auch Deutschland hat sie ratifiziert, also unterzeichnet und sich damit darauf verpflichtet.

Seit einigen Jahren gibt es Bemühungen in Deutschland, die Kinderrechte auch im Grundgesetz zu verankern. Ein entsprechender Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt vor , jedoch gibt es dafür bislang nicht die dafür erforderliche Zwei-Drittel-Mehrheit der Abgeordneten im Bundestag (Stand Juni 2021).

Beispiele aus der Praxis

Die Bundesregierung hat 2019 eine Jugendstrategie vorgelegt, zu deren Zielen es gehört, junge Menschen stärker in politische Prozesse einzubinden. Zu den Maßnahmen gehört unter anderem die Jugendstudie des Bundesumweltministeriums (siehe oben) und die Beteiligung von Jugendlichen am Maßnahmenprogramm Klimaschutz 2030.

In Deutschland und international gibt es viele weitere Beispiele für die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen an demokratischen Prozessen.

Dazu gehören zahlreiche kommunale Beteiligungsprojekte – ein aktuelles Beispiel ist die "digitale Jugendbeteiligung" in Kassel. Hierbei wurden Jugendliche eingeladen, mittels der Beteiligungs-App von beWirken ihre Meinung zum "Mobilitätskonzept Vorderer Westen" abzugeben.

Rechtlich gut verankert ist die Mitgestaltung in der Schule, doch in der Praxis gibt es teilweise Verbesserungspotenzial. Darauf zielen Initiativen, die das demokratische Handeln in Schulen stärken wollen, zum Beispiel "aula".

International gibt es Beispiele dafür, dass die Verankerung der Interessen Jugendlicher im demokratischen System noch deutlich weiter gehen kann. So gibt es in Israel einen Parlamentsausschuss für "künftige Generationen". In Frankreich wurde ein "Rat für die Rechte zukünftiger Generationen" eingerichtet.

Was kann ich selbst tun?

Es gibt verschiedene Möglichkeiten, selbst im Sinne der "Generationengerechtigkeit" und für nachhaltige Entwicklung aktiv zu werden.

Dazu gehört, die vorhandenen Beteiligungsmöglichkeiten zu nutzen. Beispielsweise können Schüler/-innen in der Schule Initiativen für eine klimafreundliche Energieversorgung oder nachhaltige Schulverpflegung anstoßen.

Ebenso gehört dazu, das Wahlrecht wahrzunehmen, sobald dies möglich ist. Bei Kommunalwahlen und einigen Landtagswahlen ist Wählen ab 16 möglich, aber längst nicht alle Jugendlichen und jungen Erwachsenen geben ihre Stimme ab.

Darüber hinaus können Jugendliche und Erwachsene informell aktiv werden, zum Beispiel, indem sie Petitionen im Internet unterstützen. Dass Online-Aktivitäten viel bewirken können, hat die "Fridays for Future"-Bewegung eindrucksvoll gezeigt. (Siehe Thema der Woche Online-Partizipation: Im Netz aktiv für Umwelt und Klima sowie Thema der Woche Schulstreiks fürs Klima)

Viele Jugendliche engagieren sich auch in den Jugendorganisationen der Naturschutzverbände oder in anderen Initiativen vor Ort. Wer sich im Netz umschaut, wird viele Möglichkeiten finden.

Weiterführende Links

Aus Politik und Zeitgeschichte: Generationen
https://www.bpb.de/apuz/generationen-2020/

Bundesumweltministerium: Zukunft? Jugend fragen!
https://www.bmu.de/publikation/zukunft-jugend-frag...

Umweltbundesamt: Demografischer Wandel
https://www.umweltbundesamt.de/daten/private-haush...


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