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Wie wir uns die Zukunft erzählen - Denkanstöße für die Praxis
Wir reden und hören zu, lesen und schreiben, recherchieren und bewerten, zweifeln und fragen, suchen Gewissheit und fühlen uns manchmal ausgesetzt in einem reichlich unübersichtlichen Geflecht von Informationen und Meinungen. Überall mit dabei: Geschichten, real oder erfunden, absichtsvoll eingesetzt oder stammelnd erzählt. Und die Muster vieler Geschichten gleichen sich: Da gibt es die Held:innenreise, die am Ende auf Sieg und Erlösung zuläuft. Und da gibt es auch die Schreckensszenarien angesichts der drohenden Apokalyse. Da gibt es das Wachstumsnarrativ in wechselnden Gewändern. Und da gibt es oft nur die eine Perspektive auf ein Problem, für das Menschen in anderen Teilen der Welt ganz andere Gedanken und Erfahrungen einzubringen hätten. Sogar die nicht-menschliche Perspektive könnte uns in vielem weiterbringen: das, was sich mit Respekt und geduldiger Einfühlung wahrnehmen und bedenken ließe vom Leben der Bäume oder vom Gesang der Amsel…
Auf meinem Tisch liegt seit drei Tagen ein Buch von Patricia McAllister-Käfer mit dem Untertitel: „Über journalistisches Schreiben in ungewissen Zeiten“. Und schon nach den ersten Seiten Lektüre lässt sich ahnen: Journalistisch Schreibende können von diesem Buch in hohem Maße inspiriert werden. Aber viel andere Menschen auch!
Wer also – wie hier eingangs kurz skizziert – für die Alltags-Kommunikation, in der Bibliothek wie in unterschiedlichen Berufsfeldern genauer hinhören und nachfrage möchte, was wir da eigentlich erzählen und uns erzählen lassen, findet in diesem Buch ebenfalls eine enorme Bandbreite an Impulsen, Stimmen und Verknüpfungen von verschiedenen Forschungsbereichen, Erfahrungen und Perspektiven.
„Denkbilder des ökologischen Erzählens“, so beschreibt die Autorin den Hauptteil ihres Buches – zu verstehen „im Sinne der Ökologie als Lehre von den Beziehungen zwischen den Lebewesen untereinander und jenen zu ihrer unbelebten Umwelt.“ Damit klingt bereits an, dass es hier nicht allein um eine anthropozentrische Dominanz gehen kann, sondern immer auch um das, was wir von anderen Lebewesen wahrnehmen können.
Fortschreibung einer fragwürdigen Wachstums- und Erfolgslogik?
Und es geht in allem auch um die Frage, ob nicht die etablierten Held:innen-Narrative von der „Rettung der Welt“ durch diese und jene Lösungsversprechen der (hier meistens weißen und westlichen) Welt genau jene Wachstums- und Erfolgslogik fortsetzen, die das „schreckliche Schlamassel“ angerichtet hat.
Überhaupt: Die Erzählung von Erfolgsaussichten auf einer klaren Zielgeraden scheint angesichts der Komplexität und Ambivalenzen in allem, was wir bei dieser fragilen Lebenslage beginnen, kaum mehr als echte Ermutigung für Engagement zu taugen. Hier bringt die Autorin das Konzept von futures literacy mit ins Spiel, das eher auf Vorstellungskraft für verschiedene Zukünfte setzt. Ende offen…
Und zu den verschiedenen Zukünften gehören auch die verschiedenen Stimmen und Blickwinkel, die unsere stets eingeschränkte und oft überschätzte Sicht dringend ergänzen müssen – wie es z.B. die Schriftstellein Chimamanda Ngozi Adichie in ihrer oft zitierten Rede „Die Gefahr der einen einzigen Geschichte“ so treffend beschreibt.
“Bottom-up” oder “Top-down”?
Sehr hilfreich – nicht allein für das journalistische Schreiben – sind auch die Ausführungen zu den verschiedenen Erzählansätzen „von unten“ (Bottom-up) oder „von oben“ (Top-down). Wer sich mal mit Nachhaltigkeit und Storytelling befasst hat, hat dabei vermutlich schon einen solchen Ausflug in bewährte Marketing-Strategien erlebt: „Top-down“ soll es darum gehen, das Erzählen einer vorgefassten Botschaft unterzuordnen und dabei kritische und widersprüchliche Stimmen und Gedanken eher auszublenden.
Gespräche und Begegnungen in einer gefährdeten und unsicheren Welt nehmen aber eher einen anderen Verlauf, beginnen ganz unten bei vielleicht ambivalenten und irritierendem Erfahrungen, schließen Zweifel mit ein und arbeiten sich langsam und im offenen Austausch mit anderen vor zu einer brüchigen, aber glaubwürdigen Perspektive, von der man anfangs noch nicht wissen kann, wie diese aussehen könnte.
Viel Raum bekommt in dem schmalen, aber außerordentlich inhaltsreichen Buch auch die Frage nach unserer Beziehung zur Natur. Eindrucksvolle Beispiele dazu liefern z.B. die Forschungen der Evolutionsbiologin Lynn Margulis zur weitreichenden Bedeutung der Cyanobakterien für das Leben auf der Erde und was wir davon u.a. über die Funktion von Kreisläufen lernen können.
Auch die Bücher über Raben, Elefanten und Graugänse, an deren Entstehung die Autorin Patricia McAllister-Käfer mitgewirkt hat, liefern weitere Beispiele für eine veränderte Beziehung zu nicht-menschlichen Lebewesen „auf Augenhöhe“.
Kraft schöpfen in einer ambivalenten Welt
Was die Lektüre dieses klugen und inspirierenden Buches in allem zu einem besonderen Leseerlebnis macht: Die Autorin beherzigt in ihrem eigenen Schreiben das, was sie auch als Gedanken und Anregung für andere Schreibende in dem Buch entfaltet, nämlich eine fließende, in vielen Passagen literarisch anmutende Erzählsprache ohne Pathos.
Am Ende fragt sie:
„Erzählen wir einander Geschichten von Held:innen, Happy Ends und Nachhaltigkeit – obwohl wir unsere Zukunft gar nie in Sicherheit bringen können?“
Diese Offenheit und Ungewissheit auszuhalten und auf Dauer damit leben zu lernen, kostet Kraft. Es geht also auch darum, „bei Kräften zu bleiben“. Gemeinschaftliches Leben, umsichtige und vertiefte Beziehungen zur Mitwelt, Kunst und Kultur können dazu einiges beitragen.
So liest sich folgende Passage aus dem hinteren Teil des Buches wie ein Schlusswort:
„Sowohl die beängstigenden Langzeittrends, die uns Wissenschaftler:innen über Zustand und Entwicklung unseres Planeten vermitteln, als auch der Trost, den wir vielleicht in ganz konkreten Kleinigkeiten unseres Alltags finden – beides ist „wahr“, beides muss Platz haben in unserem Leben Das eine schließt das andere nicht aus. Ambivalenzen existieren. Sie machen unsere Welt aus.“ (S.141)
Patricia McAllister-Käfer: Nur Helden werden uns nicht retten. Über journalistisches Schreiben in ungewissen Zeiten. oekom, 2024. 174 Seiten, ISBN 978-3-98726-049-0, 22,00 € Auch im Bestellsystem der Büchereizentrale gelistet.